Farbwahrnehmung
Um die Funktionsweise einer Digitalkamera oder eines Filmscanners zu verstehen, ist es wichtig, sich mit der menschlichen Farbwahrnehmung zu beschäftigen. Schließlich hat jeder Fotograf oder jeder Foto-Digitalisierer das Ziel, mit seiner Digitalkamera oder mit seinem Scanner denselben Effekt zu erzielen, den er auch mit seinen Augen erzielt. Anders gesagt ist es das Ziel eines jeden Digitalkameraherstellers, den Prozess der menschlichen Farbwahrnehmung so perfekt wie möglich zu imitieren. Je besser die technische Imitation des menschlichen Farbsehens ist, desto wirklichkeitsnaher sind die Bilder, die eine Digitalkamera als Abbild der Realität liefert.
Die folgenden Kapitel erklären, was beim Menschen bei der Farbwahrnehmung für physikalische und psychologische Prozesse ablaufen. Dabei ist es besonders wichtig, den menschlichen Fotoapparat, das Auge, näher kennenzulernen und zu verstehen; Wer diese Prozesse verstanden hat, blickt ganz anders aus seinen Pupillen heraus und durch den Sucher einer Digitalkamera hindurch.
Was bedeutet Farbwahrnehmung?
Unter dem Begriff Farbwahrnehmung versteht man beim Menschen einen physiologischen und psychologischen Vorgang, bei dem Farbinformationen empfangen und verarbeitet werden. Dabei beschreibt die Physiologie den physikalen und biochemischen Vorgang beim Eintreffen von Farbreizen im menschlichen Auge; die Psychologie beschreibt die Verarbeitung der Farbsignale im menschlichen Gehirn. Zwei Beispiele soll diese beiden Vorgänge verdeutlichen:
Beispiel 1: Zwei Menschen, die sich in einem Zug gegenübersitzen, üben aufeinander verschiedenartige physikalische Reize aus, die von unterschiedlichen Sinnesorganen wahrgenommen werden. Das Auge empfängt Lichtsignale, das Ohr erhält akkustische Signale, die Nase riecht (vielleicht) das Gegenüber, und wenn es nicht gerade ein Erste-Klasse-Abteil ist, spürt man sein Gegenüber noch hin und wieder. Die so vermittelten Signale sind physikalische Informationen, die sich auch mit Messgeräten detektieren lassen. Unser Gehirn verarbeitet diese Signale zu einem Gesamtbild des Gegenübers: Ein Mann mag von den optischen Signalen einer attraktiven Frau völlig geblendet sein, während er von deren Rauchergeruch völlig abgeschreckt wird. Das Gehirn wertet die physikalischen Signale aus und vergleicht diese mit bekannten, gespeicherten Ähnlichkeiten; dieser Prozess ist rein psychologisch, bei dem jeder Mensch auf seine eigene Art entscheidet und klassifiziert.
Beispiel 2: Ein Lagerfeuer sendet an die darum sitzenden Menschen physikalische Farb-, Wärme- und akkustische Signale aus, die die menschlichen Sinnesorgane wahrnehmen. Das Gehirn verarbeitet diese Signale und identifiziert das Lagerfeuer, mit dem ein angenehmes Wohlbefinden assoziiert ist; Gerät das Lagerfeuer außer Kontrolle und droht gar ein Waldbrand, so empfangen die menschlichen Sinnesorgane nach wie vor die gleichen physikalischen Signale, die jedoch von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich ausgewertet werden: Während bei einem ängstlichen Menschen gleich eine Panikreaktion hervorgerufen wird, mag bei einem abenteuerlustigen Menschen ein anstoßender Nervenkitzel auftreten; hier spielt wieder die individuelle Psychologie des Menschen eine Rolle.
Wir konzentrieren uns im Folgenden auf das menschliche Auge, das Farbreize empfangen und ans Gehirn zur Weiterverarbeitung leiten kann. Diesen Teilprozess sämtlicher menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten bezeichnen wir als Farbwahrnehmung. Um noch einmal zwischen dem physiologischen und psychologischen Vorgang bei der Farb-Wahrnehmung zu unterscheiden betrachten wir einen blauen und roten Farbpunkt auf einem Wasserhahn. Physikalisch sprechen wir von zwei Lichtsignalen, eines im Bereich der Wellenlänge 450 nm und eines im Wellenlängenbereich bei 750 nm. Beide Farbreize werden vom menschlichen Auge in einem komplizierten biochemischen Prozess detektiert und ans Gehirn weitergeleitet. Das Gehirn vergleicht die beiden Farbsignale mit bekannten Mustern, ordnet automatisch der Farbe blau KALT und der Farbe rot WARM zu. So hat man es als Kind gelernt und man assoziiert diese Farben mit Wasser und Feuer. Halten wir fest:
Während Farbtöne als physikalische Größe angegeben werden können, ist die menschliche Farbwahrnehmung ein komplizierter, individueller physiologischer und psychologischer Prozess, der bei jedem Menschen zu einem anderen Ergebnis führen kann.
Aufbau des menschlichen Auges
Das menschliche Auge ist ein Sinnesorgan, das auf elektromagnetische Strahlung im Wellenlängenbereich 380-780 nm reagiert; es ist der Bereich, den wir als sichtbares Licht bezeichnen. Da das Auge das wichtigste Sinnesorgan des Menschen ist, ist es entsprechend geschützt: Das Auge ist in den Augenhöhlen des Schädels eingebettet, die Knochen schützen es vor äußeren Stößen. Das Augenlid schließt sich reflexartig, sobald etwas von außen aufs Auge zukommt, und sobald ein Staubkörnchen ins Auge gerät, wird dieses mit reichlich Tränenflüssigkeit wieder herausgespült.
Das Auge selbst ist ein komplexes Teil, das aus vielen Häuten, Muskeln, Nerven und Farbrezeptoren besteht. Es wird eingefasst von der sogenannten Lederhaut (Sklera), die das Auge schützt und deren Muskeln den Augapfel in der Augenhöhle sichtbar verdrehen; An der Vorderseite ist die Lederhaut durch die durchsichtige Hornhaut unterbrochen. Durch die Hornhaut und die Pupille gelangt Licht ins Auginnere. Die Pupille ist der innere Teil der Iris (Regenbogenhaut); sie wird durch die Muskeln der Iris in ihrer Größe verändert; dadurch kann der Lichteinfall muskulär gesteuert werden (vergleiche Blende bei einer Kamera). Direkt hinter der Pupille befindet sich die Augenlinse, die von Ziliarmuskeln akkomodiert wird. Mit Hilfe dieser Linse wird fokusiert und die Brennweite eingestellt. Im Schlaf und beim Blick in die Ferne ist dieser Muskel entspannt, beim Lesen eines Buches findet die sogenannte Akkomodation statt; der Ziliarmuskelring zieht die Linse zusammen, so dass diese auf die Naehe fokusiert.
Die Augenlinse bricht die einfallenden Lichtstrahlen und projiziert diese durch den kugelförmigen Glaskörper hindurch auf die Netzhaut (lateinisch Retina) des Auges. Die Netzhaut ist die eigentliche lichtempfindliche Schicht, deren Farbrezeptoren (Zapfen und Stäbchen) die Farbtöne und Helligkeit in Form eines komplizierten biochemischen Prozesses detektieren; sie wandeln Lichtsignale in elektrische Signale um, die über den Sehnerv ans Gehirn weitergeleitet werden. Das menschliche Auge funktioniert also wie eine Kamera: die Pupille entspricht der Blende, die Augenlinse entspricht dem Objektiv, und die Netzhaut entspricht dem Film bzw. dem CCD-Chip. Das Gehirn übernimmt die Signalverarbeitung, die bei einer Digitalkamera der integrierte Prozessor übernimmt.
An derjenigen Stelle, an der der Sehnerv vom Auge austritt, befinden sich keine Sinneszellen; es ist der sogenannte blinde Fleck, an dem kein Sehen erfolgen kann, also eine wahrlich blinde Stelle im Auge. Eine andere wichtige Stelle auf der Netzhaut ist die Fovea (auch als Makula oder Sehgrube) bezeichnet. Die Fovea befindet sich genau an derjenigen Stelle, an der ein Lichtstrahl, der senkrecht durch die Pupille hindurchtritt, auf der Netzhaut aufschlägt. Die Fovea ist der Ort des schärfsten Sehens, er wird auch als gelber Fleck bezeichnet.
Noch ein kleiner Nachtrag: Eigentlich sollte ich nicht sagen, dass das menschliche Auge wie eine Kamera funktioniert; vielmehr imitiert eine Kamera das menschliche Auge. Aber so mancher Fotograf kennt das Innenleben und die Funktionsweise seiner Digitalkamera besser als sein Auge...
Rezeptoren - Stäbchen und Zapfen
Wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt ist die Netzhaut die lichtempfindliche Schicht im Inneren des Auges. Auf ihr befinden sich über 100 Millionen lichtempfindlicher Sinneszellen, sogenannter Fotorezeptoren. Diese Rezeptoren klassifiziert man in Stäbchen und Zapfen. Die Stäbchen messen die Helligkeit eines einfallenden Lichtstrahles, während die Zapfen die Farbanteile messen.
Stäbchen sind um einen Faktor 1000 empfindlicher als Zapfen; die größere Empfindlichkeit rührt von deren größerer Oberfläche und dem höheren Rhodopsingehalt (Rhodopsin = lichtempfindlicher Farbstoff). Sie messen nur die Helligkeit des einfallenden Lichtes, liefern also nur ein Schwarz-Weiß-Bild. Wegen ihrer hohen Empfindlichkeit arbeiten die Stäbchen auch bei Nacht und liefern selbst bei schwächstem Licht einfache SW-Bilder ans Gehirn. Bereits bei Dämmerlicht tritt bei den Stäbchen ein Sättigungszustand ein, d.h. sie liefern nur noch ein helles Weiß als Helligkeitsinformation; unter hellen Lichtverhältnissen sind die Stäbchen also nutzlos, da sie viel zu empfindlich sind. Tagsüber verrichten die Zapfen ihren Dienst; Es gibt drei Sorten von Zapfen, rotempfindliche L-Zapfen (L steht für Long, lange Wellenlänge), grünempfindliche M-Zapfen (M steht für Medium, mittlere Wellenlänge) und blauempfindliche S-Zapfen (S steht für Short, kurze Wellenlänge).
Aus den Messwerten der L-, M- und S-Zapfen erstellt das Gehirn ein Farbbild, wie wir es vom Alltag her kennen. Die Zapfen haben eine so geringe Empfindlichkeit, dass sie nur bei guten Lichtverhältnissen arbeiten, d.h. eine gewisse Mindestmenge an Photonen ist notwendig, um die Zapfen überhaupt zu erregen. Bei Dämmerung oder Dunkelheit nimmt deren Funktionalität stark ab, so dass die höchstempfindlichen Stäbchen einspringen müssen. Da die Stäbchen jedoch nur helligkeitssensibel sind, nimmt das Farbsehen mit aufkommender Dunkelheit ab. Deshalb können wir Menschen nachts keine Farben mehr erkennen, und alle Katzen sind bei Dunkelheit grau.
Von den ca. 130 Millionen Photorezeptoren auf der Netzhaut sind 95% helligkeitsempfindliche Stäbchen und nur 5% farbtonempfindliche Zapfen, wobei auch die Zapfen unterschiedlich oft vorkommen (die blauempfindlichen S-Zapfen haben den geringsten Anteil). Stäbchen und Zapfen sind auf der Netzhaut nicht etwa gleichmäßig verteilt, vielmehr konzentrieren sich die Zapfen im Bereich der Fovea; an diesem sogenannten gelben Fleck sieht das menschliche Auge am Schärfsten. Die Zapfendichte nimmt von diesem Punkt aus rapide ab; am Sehfeldrand befinden sich fast nur noch Stäbchen. Da tagsüber die Zapfen und nachts die Stäbchen arbeiten, sieht man bei Tage im Bereich der Fovea am Schärfsten, wohingegen man nachts in den äußeren Stäbchenbezirken schärfer sieht. Aus diesem Grunde sehen viele Menschen bei Nacht weniger scharf als bei Tage und so manche Sterne erkennt man bei Nacht erst so richtig, wenn man nicht direkt auf sie blickt.
Die Existenz des gelben Fleckes kann man selbst anhand eines ganz einfachen Experimentes nachprüfen: Wenn wir auf den Bildschirm blicken und ein Wort fest fokusieren, können wir nur ganz wenige Worte drum herum lesen, wenn wir die Augen nicht bewegen. Alles was außerhalb eines ganz kleinen Kreises steht, haben wir nicht mehr im Fokus und erkennen dies nur als Schriftbild, können aber keine Informationen lesen.
Auf der Netzhaut des Auges befinden unterschiedliche Arten von Fotorezeptoren: helligkeitsempfindliche Stäbchen und drei farbempfindliche Zapfenarten.
Da das menschliche Farbsehen auf drei Zapfen-Varianten basiert, werden wir auch als Trichromaten bezeichnet. Es gibt Tierarten, die eine vierte ultraviolett-empfindliche Zapfenart auf ihrer Netzhaut haben; solche Lebenwesen werden als Tetrachromaten bezeichnet. Ihr Sehvermögen reicht unter die menschliche Grenze von ca. 380 nm in den ultravioletten Bereich hinein.
10% aller Männer und 1% aller Frauen leider unter einer Farbenfehlsichtigkeit, deren häufigste Ausprägung eine rot/grün-Schwäche ist. Diese wird durch eine Fehlfunktion der rot- oder grün-empfindlichen Zapfen hervorgerufen. Da solche Menschen nur noch mit zwei Zapfenarten farbsehen, werden sie auch als Dichromaten bezeichnet. Lebewesen, die nur eine einzige Zapfenart zur Verfügung haben, werden als Monochromaten bezeichnet. Lebewesen, die komplett farbenblind sind, werden als Achromaten bezeichnet. Beim Menschen entsteht eine vollkommene Farbenblindheit, wenn alle drei Zapfenarten ihren Dienst versagen; solche Menschen können also nur noch schwarz/weiß sehen.
Signalverarbeitung im Gehirn bzw. in der Netzhaut
Aus den obigen Informationen über die Netzhaut des Auges und den sich darauf befindlichen Stäbchen und Zapfen könnte man sich das Farbsehen recht einfach vorstellen: Die Stäbchen messen bei Nacht die Helligkeit, die Zapfen bei Tag den Rot-, Grün- und Blauanteil des einfallenden Lichts; sie wandeln die Lichtsignale in einen elektrischen Strom um, der über den Sehnerv ans Gehirn weitergeleitet wird, und dort erfolgt die Signalverarbeitung zu einem Farb- oder Schwarzweißbild. So kennen wir die Signalverarbeitung von Digitalkameras, wobei dem Gehirn der Prozessor und den Stäbchen und Zapfen die einzelnen Photodioden auf dem CCD-Chip entsprechen. Aber das Auge ist ein kompliziertes Organ, das die Technik nur ansatzweise nachahmen kann:
Die ca. 130 Millionen Zapfen und Stäbchen auf der Netzhaut reichen ihre Informationen nicht direkt ans Gehirn durch, sondern es findet zuvor eine komplizierte Verschaltung und Signalverarbeitung statt. Auf die 130 Millionen Fotorezeptoren kommen nämlich nur eine Million Ganglienzellen, die direkt mit dem Sehnerv, der zum Gehirn führt, verbunden sind. Zwischen den Phtorezeptoren und den Ganglienzellen gibt es in der Netzhaut eine komplex aufgebaute Schicht aus Bipolarzellen (Verschaltung von Sehzellen), Horizontalzellen (Querverbindungen und Verschaltung von Sehzellen) und Amakrinzellen (Querverbindung und Verschaltung von Ganglienzellen), die zu unterschiedlichen Verschaltungen der Fotorezeptoren führen.
Warum diese komplexe Verschaltung der Fotorezeptoren? Im Bereich des Gelben Flecks (Fovea) zum Beispiel werden die Signale einer Sehzelle über eine Bipolarzelle 1:1 direkt an eine Ganglienzelle weitergeleitet; dies führt zu einer extrem hohen Empfindlichkeit, weshalb dieser Punkt der Ort des schärfsten Sehens ist. In den äußeren Bereichen der Netzhaut werden Hunderte von Sehzellen über Bipolarzellen und Horizontalzellen auf eine einzelne Ganglienzelle zusammengeschaltet; dadurch findet also eine Signalverstärkung auf Kosten der Detailauflösung statt und bei geringsten Lichtverhältnissen sind noch Konturen erkennbar. Vergleiche diesen natürlichen Vorgang mit der Signalverstärkung in einer Digitalkamera, wenn man eine höhere ISO-Zahl einstellt.
Wie aber entstehen nun Farben bzw. Farbeindrücke im Gehirn? Wir haben gerade eben gelernt, dass es nicht so einfach ist, dass die Stäbchen und Zapfen ihre Information einfach ans Gerhirn weiterleiten, sondern dass eine komplizierte Verschaltung der einzelnen Signale stattfindet. Das folgende Bild skizziert die farbliche Signalverarbeitung bei Tageslicht auf sehr einfache Weise:
Auf die Netzhaut fällt helles Tageslicht. Auf dieser befinden sich die grauen Stäbchen sowie die roten, grünen und blauen Zapfen. Die drei Zapfenarten ermitteln die drei Grundfarben rot, grün und blau, die Stäbchen messen nur Helligkeitswerte. Aus den roten und grünen Farbinformationen findet zunächst eine Rot-grün-Verarbeitung statt, d.h. die roten und grünen Farbinformationen werden zu einem Farbton verrechnet. An dieser Stelle wird deutlich, warum man von einer Rot-Grün-Schwäche spricht, wenn entweder die roten oder die grünen Zapfen nicht einwandfrei arbeiten.
Aus den roten und den blauen Farbinformationen wird ein Rot-Blau-Anteil berechnet, aus den grünen und blauen Farbinformationen ein Grün-Blau-Anteil. Diese beiden Anteile zusammen ergeben den Blau-Gelb-Anteil. (Hinweis: Analog zur Rot-Grün-Sehschwäche gibt es auch eine Gelb-Blau-Sehschwäche, die jedoch beim Menschen äußerst selten vorkommt.) Schließlich wird der Rot-Grün-Anteil mit dem Gelb-Blau-Anteil zu einem gewissen Farbton mit einer gewissen Sättigung verrechnet. Diese beiden Werte werden dann ans Gehirn weitergeleitet. Man erkennt also, dass dem Gehirn eine Menge an "Rechenzeit" erspart wird durch diese Vorverarbeitung im Auge.
Was ist mit der Helligkeit? Parallel zur gerade beschriebenen Ermittlung des Farbtones findet eine Helligkeitsberechnung statt, indem sowohl der Rot-Anteil als auch der Grün-Anteil als auch der Blau-Anteil miteinander verrechnet werden. Die Helligkeit wird als dritte Komponente bei der Beschreibung einer Farbe ans Gehirn weitergeleitet.
Im ganz unteren Teil des Bildes ist noch die Signalverarbeitung der Stäbchen dargestellt. Weiter oben haben wir gelernt, dass die Stäbchen äußerst lichtempfindlich sind und bei Tageslicht schnell ihre Sättigung erreichen. Die Stäbchen liefern bei Tageslicht also keine Helligkeitsdifferenzen mehr, sondern liefern den gesättigten Zustand, also das hellste Weiß als Helligkeitsinformation. Damit kann das Gehirn freilich wenig anfangen.
Bei Nacht sieht die Signalverarbeitung in der Netzhaut ganz anders aus: Im vorigen Kapitel haben wir gelernt, dass die Lichtmenge bei Dunkelheit nicht ausreicht, um die Zapfen anzuregen, d.h. die Anzahl der auftreffenden Fotonen ist zu gering, um einen minimalen Schwellenstrom zu erzeugen. Die Zapfen liefern also bei Nacht keinen Farbton, sondern lediglich ein dunkles Schwarz. Damit kann das Gehirn wenig anfangen, es ist einfach schwarz bzw. nichts ist da.
Dafür reicht die geringe Lichtmenge aus, um die Stäbchen anzuregen, ohne dass diese gleich den Sättigungspunkt ihres Messbereiches erreichen. Somit liefern die Stäbchen bei Nacht die Helligkeitsinformation, die tagsüber aus der Gesamtverrechnung der Zapfen gewonnen wird; Allerdings fehlt bei Dunkelheit die Information über den Farbton und die Sättigung von den Zapfen. Und dies ist schließlich der Grund, weshalb wir nachts nur in Graustufen sehen und keine Farben erkennen können.
An dieser Stelle möchte ich festhalten, dass bei Tageslicht dem Gehirn Informationen über den Farbton und die Sättigung, und davon getrennt Informationen über die Helligkeit gesendet werden.
Diese Auftrennung der Farbinformation in Farbton, Sättigung und Helligkeit spielt in der Farbtheorie eine äußerst wichtige Rolle. Schließlich basieren zahlreiche Farbmodelle der digitalen Bildverarbeitung genau auf dieser Zerlegung von Farbe in drei Komponenten. Farbmodelle, die mit den Grundelementen Farbton, Sättigung und Helligkeit aufgebaut sind, immitieren also die menschliche Farbwahrnehmung in sehr realistischer Weise und sind daher äußerst realitätsnahe, brauchbare Farbmodelle.
Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass die oben beschriebene Signalaufbereitung in die Informationen Farbton, Sättigung und Helligkeit nicht die einzige Signal-Verarbeitung in der Netzhaut des Auges ist. Dort findet auch eine Kontrastverstärkung zur Erhöhung des Schärfeeindruckes statt. Und schließlich gibt es ja noch die berühmten optischen Täuschungen, mit denen sich die Signalverarbeitung in der Netzhaut bzw. im Gehirn gezielt täuschen bzw. irritieren lässt.
Metamerie
Wir haben oben gelernt, dass sich auf der Netzhaut des menschlichen Auges drei verschiedene Arten von Fotorezeptoren für das Farbsehen befinden, nämlich rotempfindliche, grünempfindliche und blauempfindliche Zapfen. Fällt monochromatisches (Licht einer einzigen Wellenlänge), rotes Licht der Wellenlänge 700 nm auf die Netzhaut reagieren praktisch nur die rotempfindlichen L-Zapfen und das Gehirn bekommt ein eindeutiges Signal. Was aber passiert, wenn monochromatisches, gelbes Licht der Wellenlänge 600 nm auf die Netzhaut trifft? Dann werden sowohl die rotempfindlichen L-Zapfen als auch die grünempfindlichen M-Zapfen angeregt und die oben beschriebene Signalverarbeitung liefert die Farbe Gelb ans Gehirn weiter (siehe oberer Teil der Grafik).
Einen gelben Farbeindruck erhält man jedoch nicht nur, wenn reines gelbes Licht, also monochromatisches Licht der Wellenlänge von ca. 600 nm, auf die Netzhaut trifft, sondern auch, wenn monochromatisches rotes Licht der Wellenlänge 700 nm und monochromatisches grünes Licht der Wellenlänge 500 nm auf die Netzhaut trifft. Auch bei diesem Mischlicht erhält das Gehirn einen gelben Farbeindruck, da sowohl die rotempfindlichen als auch die grünempfindlichen Zapfen angeregt werden (siehe mittlerer Teil der Grafik, wo ein roter und ein grüner Strahler auf einer Mattscheibe eine gelbe Fläche erzeugen).
Dieses Beispiel zeigt, dass beim Menschen ein gelber Farbeindruck auf unterschiedliche Weise hervorgerufen werden kann, einerseits mit monochromatischem gelben Licht, andererseits aus einer Mischung von monochromatischem roten und grünen Licht. Verwendet man polychromatisches Licht (Licht vieler Wellenlängen), so lassen sich unendlich viele Kombinationen aus Spektralfarben finden, um wiederum einen gelben Farbeindruck zu erzeugen (siehe unterer Teil der Grafik). Der Mensch ist also nicht in der Lage, die Zusammensetzung von Licht zu ermitteln, d.h. Licht in seine Spektralfarben zu zerlegen. Licht unterschiedlichster Zusammensetzung kann denselben Farbeindruck erwecken. Diesen Effekt nennt man Metamerie.
Als Metamerie bezeichnet man den Effekt, dass beim Menschen unterschiedliche Farbspektren denselben Farbeindruck hervorrufen können.
Die obige Grafik soll genau diesen Effekt demonstrieren: Ob gelbes Licht als monochromatische Spektralfarbe, z.B. aus einem Laser, vorliegt, ob ein roter und ein grüner Scheinwerfer durch additive Farbmischung auf einer Mattscheibe eine gelbe Fläche erzeugen, oder ob ein Körper durch entsprechende Reflexion des weißen Sonnenlichtes ein Farbspektrum emmitiert, das einen gelben Gesamteindruck erweckt, spielt für das Gehirn keine Rolle. Es empfindet stets einen gelben Farbeindruck, egal aus welcher Lichtquelle er stammt.
So viel zur Theorie. Welche Auswirkung hat die Metamerie in der Praxis und im Alltag? Fangen wir mit dem Positivem an: Metamerie macht die Reproduktion eines riesigen Farbspektrums auf der Basis von drei Grundfarben möglich. Ein Computer-Monitor erzeugt pro Bildpunkt mit einem roten, grünen und blauen Lämpchen durch unterschiedliche Helligkeit der einzelnen Lämpchen über 16 Millionen Farben; Theoretisch könnte man diese 16 Millionen Farben auch mit einer gleichen Anzahl von unterschiedlichen Mini-Lämpchen erzeugen. Aber zum Glück ist es dem menschlichen Gehirn egal, ob ein einziges Lämpchen die Farbe gelb erzeugt oder ob zwei Lämpchen die Farben rot und grün erzeugen, um einen gelben Punkt darzustellen. Das ist Metamerie!
Ein weiteres Beispiel, wie Metamerie zum Einsatz kommt, ist die Darstellung von violetten Farbtönen am Computer-Monitor. Streng genommen könnte ein Computer-Bildschirm violette Farben gar nicht darstellen, da violettes Licht im Bereich von 360-380 nm liegt, wohingegen blaues Licht bei ca. 380 nm erst anfängt. Dennoch wird ein violetter Farbeindruck erzeugt, indem blauem Licht etwas rotes Licht beigemischt wird. Im Farbspektrum bedeutet dies im übertragenen Sinne, dass sehr kurzwelliges ultraviolettes Licht durch Mischung von kurzwelligem blauem Licht und langwelligem roten Licht entsteht. Das scheint zunächst ein Paradoxon zu sein, aber das ist eben Metamerie. Schließlich kommt es auf den Farbeindruck an und nicht auf die Wellenlängen des Lichts.
Ein Negativbeispiel: Eine Dame kauft im Modehaus einen roten Rock und sucht sich passend dazu eine rote Bluse aus. Im Kaufhaus, wo unzählige Leuchtstoffröhren für eine gute Beleuchtung sorgen, passen die beiden roten Farbtöne exakt zueinander. Sobald die Dame jedoch die Kombination erstmals im Freien bei Sonnenschein trägt bekommt sie einen tiefen Schock, weil die beiden Rottöne verschiedener gar nicht sein können. Wie kommt dieser Farbenwechsel zustande? Beide Stoffe erwecken einen roten Farbeindruck obwohl sie ein unterschiedliches Lichtspektrum emitieren. Bei Kunstlicht treten die Unterschiede jedoch kaum auf, während sie bei natürlichem Tageslicht extrem auffällig werden. Das Farbspektrum beider Stoffe zeigt zwar eine große Metamerie, d.h. viele Spektrallinien sind nahezu deckungsgleich, aber es gibt eben Unterschiede, die erst bei einer bestimmten Beleuchtung zu Tage treten.
Noch ein Beispiel: Leuchtstofflampen emittieren eine charakteristische Spektrallinie im grünen Bereich. Das menschliche Auge hat damit kein Problem und ignoriert diese Spektralfarbe bzw. gleicht sie automatisch aus. Eine Digitalkamera, die auf Sonnenlicht eingestellt ist aber bei Leuchtstofflampenlicht eingesetzt wird, wird jedoch von der charakteristischen Grünlinie so sehr irritiert, dass die Bilder einen starken Gelbstich bekommen. Abhilfe schafft da ein entsprechender Weißabgleich, der die Kamera auf eine niedrigere Farbtemperatur bzw. auf Leuchtstoffröhrenlicht einstellt.
Für die Praxis beduetet Metamerie, dass Farben je nach Umgebungslicht unterschiedlich beurteilt werden können/müssen. Der Vergleich zweier Farbstoffe macht nur dann Sinn, wenn sie unter denselben Lichtbedingungen betrachtet werden. Es gibt sogenanntes Normlicht, das zum Beispiel mit der Farbtemperatur 5000 K angegeben wird, welches sich zum Betrachten und Vergleichen von Farben eignet.
Für die Beurteilung von Farben spielt das Umgebungslicht eine entscheidende Rolle. Eine objektive Beurteilung ist nur unter Normlicht-Bedingungen möglich.
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